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Stefan Schweiger

Apotheken Umschau: XY ungelöst

Aus: Apotheken Umschau (2011)


Manche Menschen können nicht eindeutig einem Geschlecht zugeordnet werden. Für sie beginnt damit eine schwierige Suche nach der eigenen Identität



Dass sie in der Schule einen Rock tragen sollte, dagegen wehrte sie sich. Sie trug lieber Jeans. Ansonsten wuchs Frances Kreuzer als „ganz normales Mädchen“ auf. Sie besuchte das Gymnasium, in der Schule lief es gut. Bis sie mit 15 Jahren, 1972, zum Arzt musste. Sie hatte noch immer keine Regelblutung.


Um der Sache auf den Grund zu gehen, führten die Ärzte eine humangenetische Untersuchung

durch. Dann der Schock: Frances Kreuzer hatte einen XY-Chromosomensatz, genetisch war sie also ein Mann. Die Diagnose lautete XY-Gonadendysgenesie, das sogenannte Swyer-Syndrom. Komplizierte Begriffe. Äußerlich sah sie zwar aus wie ein Mädchen, doch sie hatte keine Eierstöcke. Im Inneren ihres Körpers befanden sich Hoden. Frances Kreuzer war zwischen den Geschlechtern, sie konnte nicht eindeutig zugeordnet werden. Was das bedeutet, verstand sie nicht, weil es ihr niemand erklärte. Die Röntgenbilder durfte ihre Mutter, eine Krankenschwester, nicht ansehen. Ihr wurde nur gesagt, dass ihrer Tochter wegen eines erhöhten Krebsrisikos die Hoden entfernt werden müssten. „Man hat mich kastriert“, sagt Frances Kreuzer heute. „Meine Geschlechtsentwicklung war auf einen Schlag unterbrochen.“


In mühevoller Kleinarbeit suchte sich Frances über die Jahre die Krankenhausakten zusammen

und kann so heute ihre eigene Vergangenheit rekonstruieren: Im Mutterleib hatte ihr Körper begonnen, Hoden auszubilden, wie es der männliche Chromosomensatz vorgibt. Aufgrund eines Gendefekts auf dem Y-Chromosom entwickelte sich der Penis des Fötus aber nicht voll. Das äußere Genitale war zu groß für eine Klitoris, zu klein für einen Penis. Das Baby wurde zum Mädchen erklärt: Margarethe Frances Maria.


Dass die Frage „Junge oder Mädchen?“ bei der Geburt eines Kindes nicht eindeutig beantwortet werden kann, kommt häufiger vor, als man vermuten würde. Menschen mit sexuellen Differenzierungsstörungen passen nicht in die Geschlechterkategorien, die Biologie und Gesellschaft vorgeben. Professor Olaf Hiort hat inzwischen Hunderte solcher Fälle kennengelernt. Der Arzt für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum in Lübeck ist Sprecher des deutschlandweit einzigen Wissenschaftsnetzwerks, das sich mit Besonderheiten der Geschlechtsentwicklung beschäftigt. Die Forschergruppe schätzt, dass die Diagnose Intersexualität bei einer von 5000 Geburten gestellt wird. Was einst umgangssprachlich unter den Begriffen Zwitter oder Hermaphrodit zusammengefasst wurde, hat viele verschiedene Ursachen und Erscheinungsformen. „Sie haben nur gemeinsam, dass das chromosomale Geschlecht nicht mit den Keimdrüsen und den äußeren Geschlechtsorganen übereinstimmt“, sagt Hiort.


Zwar wird schon bei der Befruchtung der Eizelle in den Geschlechtschromosomen das

Kerngeschlecht festgelegt: XX für weiblich und XY für männlich. In den ersten sechs Wochen unterscheiden sich die Föten aber noch nicht. Erst danach entwickeln sich Hoden oder Eierstöcke, die männliche oder weibliche Sexualhormone bilden und die Entwicklung zum Jungen oder Mädchen steuern. Ist ein Schlüsselgen defekt, kann es zum Beispiel passieren, dass die Hoden keine männlichen Hormone ausschütten. Die Geschlechtsentwicklung kommt ins Stocken.


(...)

 

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